Kolonialkrieg - Lineols libysches Abenteuer
Italiens Kolonialkrieg in Nordafrika wäre ohne die massiven sozialen Unruhen im eigenen Land um die Jahrhundertwende nicht denkbar. Italien war verarmt, wirtschaftlich unterentwickelt und hatte mehr als 1,6 Millionen Bürger an die Auswanderung verloren (hauptsächlich in die USA). Nordafrika verhieß leichte Beute und besiedlungsfähigen “Lebensraum” direkt vor der Haustür.
Als die italienische Regierung am 26. September 1911 dem Osmanischen Reich ein Ultimatum stellte, mit sofortiger Wirkung die libyschen Provinzen Tripolitanien und Cyreneika an Italien abzutreten, weigerte sich der Sultan. Am 29. September erfolgte die italienische Kriegserklärung.
Zwar gelang es der italienischen Marine, die osmanischen Seestreitkräfte in die Häfen zurückzudrängen und nach der Anlandung von 40.000 Soldaten bis zum 14. Oktober Tripolis, Tobruk und Bengasi zu erobern, allerdings sah die lokale Bevölkerung die Italiener nicht als Befreier, sondern als Eroberer und setzte sich hartnäckig zur Wehr. Berber und Araber kämpften gemeinsam mit den wenigen türkischen Truppen gegen die Invasoren.
Der italienischen Führung gelang es trotz zahlreicher Kriegsverbrechen nicht, diesen Widerstand zu brechen. Obwohl Rom im November Libyen am 5. November offiziell annektierte, waren die inzwischen auf 100.000 Mann verstärkten italienischen Streitkräfte nicht über die Küstenoasen hinausgekommen.
Der Kriegszustand mit der Türkei dauerte bis zum 18. Oktober 1912. Die Hohe Pforte hatte inzwischen mit dem Ersten Balkankrieg ganz andere Sorgen. Italien hatte etwa 1.400 Gefallene zu beklagen, die osmanische Armee und die libyschen Freischärler hatten 4.500 Kämpfer verloren. Italienischen Gräueltaten waren etwa 14.000 Zivilisten zum Opfer gefallen. In diesem Konflikt wurden zum ersten Mal Flugzeuge militärisch gegen Bodenziele eingesetzt, Italien hatte dem Krieg Flügel verliehen.
Dieser Konflikt zeigte die ersten Risse im so genannten Dreibund (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Italien), den Deutschland hatte ein starkes Interesse an guten Beziehungen mit der Hohen Pforte. Italiens Suche nach einem kolonialen Abenteuer durchkreuzte Berlins europäischen Bündnisträume. Das Britische Empire und Russland hatten Italien in seinen Ambitionen bestärkt, trieb dies doch den gewünschten Keil in den Dreibund.
Lineol hat diesen Konflikt sehr früh aufgegriffen und die Kolonialkriege in die deutschen Spielzimmer gebracht. Die Serie wurde noch vor dem Ersten Weltkrieg vermarktet, wahrscheinlich noch 1912 oder 1913. Ob der Verkauf in der Geschenkpackung als “Action-Set” oder als Einzelfiguren erfolgte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Das Geschenkset erscheint aber wahrscheinlich.
Die Italiener wurden in ihrer Vorkriegsuniform dargestellt, fast ausschließlich Bersaglieri in blauen Röcken und zumeist weissen Hosen, die Osmanischen Standardfiguren wurden um libysche Freischärler ergänzt.
Türkische Sonderfiguren:
Osmanische Linien-Infanteristen entsprachen in ihrer Basis den französischen Turkos und Zouaven, bekamen aber einen osmanischen Kopf mit dem typischen Fez.
Libysche Freischärler – es gibt diese Figuren ausschließlich als Marschierer, obwohl diese Truppen das Gros der Kämpfer auf türkischer Seite stellten. Mehrere Farbvarianten sind bekannt. Burgunderrot, blau und grün für die Fußtruppen, gelb-rot-schwarze “Uniformen” für die Reiter. Eine interessante Besonderheit: Obwohl die Formen ausschließlich für libysche Freischärler Verwendung fanden, wurden Körper und Köpfe separat modelliert.
(Bild rechts: osmanisch-albanischer Infanterist)
Preisbewertungen - Sammlerpreise:
Libysche Freischärler sind recht selten, waren aber als Fußtruppen nur selten hoch bewertet, da sie im Allgemeinen in kein gängiges Sammlungskonzept passen und selten korrekt zugeordnet werden (nein, - es handelt sich definitiv nicht um bewaffnete Krippenfiguren). Die Preise sind zwar starken Schwankungen unterworfen dennoch kann man sagen, dass der Wert der Marschierer bei 50 bis 100 Euro im sehr guten Zustand liegt, bei einer ausgefallenen Farbe kann aber durchaus die 100 Euro Marke durchbrochen werden.
Die Kavalleristen sind ausgesprochen selten und tauchen fast nie auf Auktionen auf. Bei sehr gut erhaltenen Figuren ist nach oben keine Grenze gesetzt, jeder Preis unter 300 Euro sollte als “Schnäppchen” gelten.
Der Osmanisch-Albanische Infanterist ist selten und kostet um die 100 bis 150 Euro, wenn man eine solche Figur denn einmal findet. Türken in Standard-Ausführung entsprechen in etwa ihren preußischen Pendants (in bunter Vorkriegsuniform).
Italienische Soldaten gehören im Allgemeinen nicht unbedingt zu den großen Lineol-Raritäten, allerdings sind die Kämpfer aus dem libyschen Abenteuer (Bersaglieri mit weißen Hosen) eher nicht so häufig zu finden, da zudem farblich empfindlich. Für die blauen Vorkriegsuniformen, die farblich ohnehin weitaus ansprechender sind als ihre grauen Weltkriegs-Vettern sind leichte Preisaufschläge zu erwarten, keine astronomisch hohen Ausreißer.
(Asko Schröder © figurenmuseum 2021)