Des Rätsels Lösung? Kresge – Ein Indizienprozess

von Asko Schröder

Die Produktion der Widersacher der britischen Streitkräfte wurde offenbar verzögert, so dass die Serie erst fertig war, als der Krieg ausbrach.

Beginnen wir mit einer Binsenweisheit : Überraschungen gibt es immer wieder! “Unverhofft kommt oft” wäre übertrieben, aber das Universum ist im Fluss und manchmal lösen sich Knoten, die man Jahrzehnte lang für unentwirrbar gehalten hat, ganz plötzlich und unerwartet.

Auch wenn an dieser Stelle kein Gefühl hundertprozentiger Gewissheit vermittelt werden soll, wird im Folgenden eine schlüssige Indizienkette dargelegt, der man folgen mag oder eben auch nicht.

Es begann mit einem Zufallsfund, ein Nachlass wurde aufgelöst, der Bestand an “Staubfängern” von den Erben entrümpelt und – sofern dies irgend möglich – zu Geld gemacht. Traurige Routine. Aus der Masse alter Photos, Postkarten und diversen Hausrats stach ein Konvolut Massefiguren hervor: Erdfarben, auf den ersten Blick eher unscheinbar, nicht optimal gelagert, dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Eine genauere Analyse des Fundes führte zu Stirnrunzeln. Diagnose : "Nie gesehen!"

Deutsch anmutender mit schwarz-weiss-roter Flagge marschierender Soldat

Die kleinen Männlein stellen offenbar amerikanische Waldläufer oder Trapper dar, allerdings nicht im Gewande eines potenziellen Karl-May-Kontextes sondern eher passend gekleidet für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dazu gehörte neben mehreren Fahnenträgern mit seltsam deutsch anmutender schwarz-weiss-roter Flagge auch ein marschierender Soldat mit Bärenfellmütze, der definitiv nicht als “Waldläufer” zu bezeichnen war.

Die gesamte Machart der Gruppe wies die Figuren eindeutig einem deutschen Massefiguren-Hersteller zu, nur welchem? Nach einem hoffnungsvollen Blick unter die ovalen Sockel musste enttäuscht festgestellt werden, dass diese unbezeichnet waren, mit einer Ausnahme: Der marschierende Bärenfell-Soldat war mit dem bekannten “FF” bezeichnet, das Sammler militärischer Massefiguren mit der Firma Friedhold Fischer aus Mengersgereuth-Hämmern in Thüringen verbinden.

Die Soldaten dieser Firma sind nicht eben für ihre Eleganz bekannt, die Figuren sind zwar fein modelliert, aber in keinster Weise als filigran zu bezeichnen: meist wuchert zwischen den Beinen der Soldaten ein Gestrüpp aus Masse, das den gesamten Raum zwischen den Beinen ausfüllt und so zwar die Gestaltung der Gussform erleichtert haben mag, aber dern Figuren eine wenig attraktive Klobigkeit verleiht.   

Die Gestaltung aller Figuren des Konvoluts ist sehr ähnlich in ihrer Qualität, Modellierung und Farbgebung.
Amerikanischer Waldläufer oder Trapper passend gekleidet für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Insgesamt ist die Gestaltung aller Figuren des Konvoluts sehr ähnlich in ihrer Qualität, Modellierung und Farbgebung. Es muss sich also um das Werk ein und desselben Herstellers handeln. Wer aber einen Blick in das bahnbrechende Werk Thomas Fincks wirft, wird im ersten Band der Serie unter “Friedhold Fischer” lediglich den Verweis auf Nachkriegsware im Westernbereich finden mit hervorragenden entsprechenden Abbildungen zweier Serien und der Bemerkung, es habe keine Vorkriegs-Western-Figuren dieses Herstellers gegeben.

Tatsächlich keine Spur von den “Waldläufern”, die nun im Hinblick auf den wohl  britischen Soldaten und die Anwesenheit von Fahnenträgern eher an den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg  denken ließ. Wer läuft schon auf Bärenjagd mit einer Fahne herum?

Ein Blick in den dritten Band der Finck-Trilogie und man trifft auf die so genannten “Kresge” Figuren, die bis heute lediglich mit dem Namen der amerikanischen Einzelhandelskette verbunden werden, ohne dass jemals ein deutscher Hersteller eindeutig mit deren Urheberschaft in Verbindung hätte gebracht werden können.

Eine direkte Gegenüberstellung des mit “FF” bezeichneten Marschierers mit der Figur 179/2 der “Kresge”-Serie zeigt auf den ersten Blick eine fast vollständige Übereinstimmung der beiden Modelle. Näher betrachtet, ergeben sich – neben den offensichtlichen Unterschieden in Bezug auf die Bemalung – zwei Unterschiede. Die “Kresge”-Figur weist ein zum Bajonettansatz verbogenes Stück Draht als Gewehr auf, während die “FF”-Figur ein gerades Stück Draht als Schiessprügel-Ersatz herumschleppt. Ferner ist zwischen Rucksack und Munitionstasche ein geringfügiger Unterschied auszumachen. Ob dieser letztere, weitaus signifikantere Unterschied bei allen “Kresge”-Marschierern zu finden ist, muss noch überprüft werden. Warum signifikanter? Weil diese Variation auf eine andere Form verweist, während das Drahtelement natürlich mechanisch bearbeitet werden konnte.

Zwar sind sämtliche “Kresge”-Figuren eindeutig als “Grenadier Guard 1815” durch das Etikett auf der Sockelunterseite ausgewiesen, was durch die dazugehörige Persönlichkeitsfigur “Wellington” unterstrichen wird. Andererseits haben diese kämpfenden Grenadiere keinerlei bekannten Figuren, denen sie sich auf dem Exportmarkt USA gegenüber hätten durchsetzen müssen. Waterloo ohne Feinde? Macht das Sinn? Eigentlich nicht. Die einzigen Massehersteller von napoleonischen Figuren saßen in Deutschland und Belgien und exportierten diese nicht in nennenswerten Mengen in die USA. Was nun also?

Die Posen innerhalb dieser Serie sind denen der “Kresge”-Reihe sehr ähnlich, beschränken sich hier auf : Fahnenträger, stehender Schütze, laufender Kämpfer, Kämpfer mit dem Gewehr zuschlagend, Kämpfer/Waldläufer Gewehr ladend.
Mit “FF” bezeichnete Figur, die nahezu identisch mit einer der Figuren besagter Serie ist und sich lediglich in der Bemalung unterscheidet

Bevor wir uns im Folgenden ins Wunderland der Spekulation begeben, fassen wir folgende Fakten zusammen:

  • Es gibt eine komplette, hochwertige Serie von Massefiguren eines deutschen unbekannten Herstellers, der sehr erfolgreich in die USA exportierte.
  • Die Protagonisten dieser Serie haben keine Feinde, die in ähnlicher Machart und von demselben Einzelhändler “Kresge” vermarktet worden wären.
  • Es gibt eine mit “FF” bezeichnete Figur, die nahezu identisch mit einer der Figuren besagter Serie ist und sich lediglich in der Bemalung unterscheidet (minderwertig im Vergleich mit den Exportartikeln).
  • Es gibt eine in identischer Qualität modellierte Serie von Massefiguren, die in der gleichen Bemalung wie die “FF”-Figur vorliegen, ansonsten aber ungemarkt sind und dieselben Sockelcharakteristika wie die “Kresge”-Soldaten aufweisen.
  • Die Uniform der “Kresge”-Figuren ähnelt eher der Uniform der britischen Grenadiere während der amerikanischen Revolution, denn der Uniform der britischen Armee bei Waterloo (wenn man einmal von Wellington absieht).
  • Die Posen innerhalb dieser Serie sind denen der “Kresge”-Reihe sehr ähnlich, beschränken sich hier auf : Fahnenträger, stehender Schütze, laufender Kämpfer, Kämpfer mit dem Gewehr zuschlagend, Kämpfer/Waldläufer Gewehr ladend.
Die liegen gebliebenen Figuren wurden von der Fa. Fischer wohl in Heimarbeit selbst bemalt, mit den damals verfügbaren qualitativ minderwertigen Farben, was zu erdigen Tönen führte, ähnlich der Farbalterung von Elastolin-Figuren aus der Kriegsproduktion.

Wenn man zusätzlich in Betracht zieht, dass die US-Einzelhandelskette Kresge bereits Ende der 20er Jahre in Sonneberg/Thüringen eine Zweigstelle zum Ankauf lokaler Produkte betrieb, rundet sich ein ziemlich klares Bild des “Tathergangs” ab.

Da sich die “Kresge”-Serie relative gut zeitlich auf 1937/38 datieren lässt und die große Zahl der in den USA bis heute zu findenden Mengen dieser Figuren auf eine große Popularität der Figuren schließen lässt, kann man davon ausgehen, dass F. Fischer seine Ware spätestens 1935 in Sonneberg vorgestellt hat, beziehungsweise ab 1936 die Konditionen von Kresge genannt bekam, was man von der Firma Fischer als Zulieferer erwartete.

Es ist nicht mehr nachvollziehbar, ob die “Grenadier Guards” als Gesamtpaket oder schrittweise auf dem US-Markt eingeführt wurden, jedenfalls ist die Abwesenheit potenzieller Feinde ein Hinweis, dass die Firma Fischer wohl bereits die stark nachgefragten Artikelmengen mit Mühe zu stemmen vermochte, zusätzlich zu der Produktion an Soldatenfiguren für den deutschen Billigmarkt (auch hier war die Firma Fischer recht erfolgreich). Vielleicht hat man der Firma Kresge frühzeitig mitgeteilt, dass die Entwicklung von Widersachern einige Zeit in Anspruch nehmen werde und dass dies nur möglich sei, so die fortlaufende Produktion nicht gefährdet werde. Immerhin ist belegt, dass die Firma Fischer ihr Produktionspotenzial bereits vor dem Ausbruch des Krieges erheblich aufstockte.

Die Produktion der Widersacher der britischen Streitkräfte wurde offenbar verzögert, so dass die Serie erst fertig war, als der Krieg ausbrach und an einen Export nach Übersee nicht mehr zu denken war.

Ab 1943 wurde die Herstellung von Spielzeug verboten, insofern diese Spielwaren nicht für den Export produziert wurden und somit Devisen einbringen konnten.

Die bereits gepressten Rohlinge wurden dann wohl folglich zunächst nicht fertiggestellt und blieben liegen. Die Kriegsereignisse schlugen auch in Thüringen zu, Personal wurde zum Dienst an der realen Waffe eingezogen und ab 1943 wurde die Herstellung von Spielzeug verboten, insofern diese Spielwaren nicht für den Export produziert wurden und somit Devisen einbringen konnten.

Die wirtschaftliche Situation der Firma in der späten Kriegsphase, nicht zuletzt aufgrund des Heldentods des Firmenchefs, mag dazu geführt haben, dass F. Fischer die liegen gebliebenen Figuren in Heimarbeit selbst bemalte, mit den damals verfügbaren qualitative minderwertigen Farben, was zu diesen erdigen Tönen führte, ähnlich der Farbalterung von Elastolin-Figuren aus der Kriegsproduktion.

Diese Ware muss dann in sehr beschränktem Umfang lokalen Spielzeugläden in Kommission gegeben worden sein, wo sie dann entweder noch 1944 verkauft wurden bis dann 1945 der Zusammenbruch kam.

 

Figurenmuseum Masse Figuren Wellington bei Waterloo - ein Original von Kresge

Der Umstand, dass die Fahnenträger eine scheinbar deutsche Reichsfahne tragen, lässt vermuten, dass es sich nicht um Nachkriegsfiguren handelt, und dass es sich um eine Reichsfahne handelt ist ebenfalls mehr als zweifelhaft. Vielleicht hat die Firma F. Fischer Bilder von Fahnen amerikanischer Milizen zum Vorbild gehabt und diese dann mehr oder weniger erfolglos interpretiert. Wer sich Beispiele dieser Zeit anschaut, wird ein paar potenzielle Vorbilds-Kandidaten entdecken.

Wenn sich somit auch nicht letztinstanzlich die   Zusammengehörigkeit beider Serien nachweisen lässt, dürfte zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass es sich bei den so genannten “Kresge”-Figuren um die Arbeiten der Firma F. Fischer aus Mengersgereuth-Hämmern in Thüringen handelt. Die Vergleichsbilder lassen keinen anderen Schluss zu.

Asko Schröder © figurenmuseum 2023

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© Ulrich Becker